David Whitehouse: Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek

Whitehouse_ReiseDer Tropen-Verlag behauptet, David Whitehouse sei der „Jungstar der britischen Literatur“. Immerhin ist er wirklich jung, Jahrgang 1981. Was ihn zum „Star“ macht, hat sich mir anhand seines Buches aber nicht erschlossen…

Die Geschichte ist ja ganz nett, eine Tragikomödie voller sympathischer Figuren, die auch noch Büchernarren sind.
Aber ähnlich wie bei Nina Georges „Lavendelzimmer“ fand ich die ganze Atmosphäre zu süßlich, die Figuren zu konstruiert. (Sowas fällt besonders auf, wenn man vorher Ian McEwan gelesen hat!)

Es geht um den zwölfjährigen Bobby, der als Halbwaise bei seinem brutalen Vater und dessen liebloser Freundin aufwächst. Eines Tages lernt er Rosa und ihre Mutter kennen, die für ihn zur Ersatzfamilie werden. Als sich der Junge, von Mitschülern gequält und vom Vater misshandelt, zu Val und Rosa flüchtet, machen die drei sich in einem gestohlenen Bücherbus auf ins Abenteuer.

Nach etlichen Verwicklungen wird das Happy-End nicht ausformuliert, aber immerhin in Aussicht gestellt. Wäre das Buch ein Film, wäre es Disney-Popcorn-Familienkino.

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Alexander von Schönburg: Smalltalk

SchoenburgAls waschechtes Arbeiterkind aus dem tiefsten Ruhrgebiet habe ich eigentlich so meine Vorbehalte gegen „Blaublüter“. Aber Alexander von Schönburg hat schon vor etlichen Jahren mit seinem Buch „Stilvoll Verarmen“ meine wohlwollende Aufmerksamkeit gewonnen.
Nach Asfa-Wossen Asserate (den Sie hoffentlich kennen, weil Sie sein wunderbares Buch „Manieren“ gelesen haben) ist er sozusagen mein zweitliebster Adelsspross.

Wer humorvolle kleine Häppchen mag, ist bei „Smalltalk“ richtig. Auch wenn man niemals in die Verlegenheit kommen sollte, auf internationalem Parkett plaudern zu müssen, lohnt sich die Lektüre.

Mit profundem Halb- bis Dreiviertelwissen stellt von Schönburg verschiedene Themen vor, mit denen Sie und ich in Gesellschaft punkten könnten, wenn es darauf ankäme. Charmant und selbstironisch scheut er nicht vor Themen wie Quantenphysik, Steuermoral oder der Genderproblematik zurück. Sein wichtigstes Gebot, „Du sollst nicht langweilen“, erfüllt er mit diesem Büchlein voll und ganz. Ich habe mich jedenfalls prächtig amüsiert!

Ein Stirnrunzeln gab es allerdings beim Lesen des Klappentextes: Alexander von Schönburg ist jetzt Mitglied der Bild-Chefredaktion, entnahm ich der Kurzbiografie.
Na schön… Wie er in „Stilvoll Verarmen“ berichtet, leben er und seine Familie längst nicht mehr von Grundbesitz oder dem Zehnten. Auch seinesgleichen muss schnöde Geld verdienen.

Aber doch nicht bei der Bild!!!  Also, kaufen Sie dieses Buch!* Warten Sie nicht erst auf die Taschenbuchausgabe! Vielleicht tragen wir so dazu bei, dass der gescheite und sympathische Herr von Schönburg nicht mehr jemanden wie Kai Diekmann seinen Chef nennen muss…

*…aber bitte im unabhängigen Buchhandel!

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Linus Reichlin: In einem anderen Leben

Reichlin_LebenFür „Die Sehnsucht der Atome“ bekam Reichlin 2009 den Deutschen Krimipreis. Auch wenn er sich anderen Genres zuwendet, bleiben seine Erzählungen spannend.

Luis, der Erzähler des Romans, ist das einzige Kind eines exzentrischen Elternpaars. Vater und Mutter erinnern an das Glamour-Paar Liz Taylor und Richard Burton, Alkoholkonsum und Auseinandersetzungen eingeschlossen. Luis wagt kaum, Schulfreunde einzuladen, weil er nie weiß, was ihn zuhause erwartet.

Als seine Mutter nach einem schweren Unfall ein Pflegefall wird, gerät die häusliche Situation völlig außer Kontrolle: Der Vater vernachlässigt seine Zahnarztpraxis und verwahrlost allmählich, die finanzielle Situation wird prekär. Luis versucht, sich ein eigenes Leben aufzubauen, aber die Prägung durch seine Familie lässt ihn nicht los…

Reichlin erzählt angenehm zurückhaltend von den Schwierigkeiten, eine unglückliche Kindheit hinter sich zu lassen. Beeindruckend und zuweilen erschütternd.

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Amber Dermont: In guten Kreisen

Dermont_Kreisen„Eine Hymne an den bittersüßen Glanz der Jugend.“
Mit diesem Zitat von Justin Cronin wirbt der Verlag für das Buch. Da sieht man wieder, wie unterschiedlich Menschen Bücher lesen…

Amber Dermonts Romandebüt ist eine Coming-of-Age-Geschichte, angesiedelt im Milieu der Ostküsten-Elite.
Die Hauptfigur, Jason Prosper, musste seine Eliteschule verlassen. Nach dem Selbstmord seines Freundes Cal ist er außer Kontrolle geraten. Seine Eltern sorgen dafür, dass er an der Bellingham Academy, einem teuren, freizügigen Internat, seine Schullaufbahn beenden kann.

Auch hier ist Jason wieder unter „seinesgleichen“: Reiche junge Leute, die es gewohnt sind, dass sich alles nach ihren Wünschen fügt. Das Geld ihrer Eltern ist ihr Schutzwall.

Jason freundet sich mit der Außenseiterin Aidan an, wird nach längerem Zögern auch  Mitglied des Segelteams. Doch während eines Sturms verschwindet Aidan plötzlich und Jason steht erneut eine schwere Prüfung bevor…

(Achtung, Warnung! In den nächsten Zeilen folgt etwas, dass Sie vielleicht nicht wissen wollen, wenn Sie das Buch lesen möchten!)

Vom „bittersüßen Glanz“ der Jugend habe ich in diesem Buch nichts bemerkt. Die Protagonisten erinnern mich eher an die Figuren aus W. Goldings „Herr der Fliegen“.
Von korrupten und moralisch fragwürdigen Erwachsenen umgeben, schrecken einige dieser Heranwachsenden noch nicht einmal vor Mord zurück.

Amber Dermont unterrichtet kreatives Schreiben. Ich bilde mir ein, dass man das dem Buch ein wenig anmerkt. Der Stil ist angenehm und der Roman durchaus spannend, aber er wirkt auch irgendwie konstruiert, hat etwas seltsam Künstliches. Für junge Leute aber durchaus empfehlenswert.

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Tom Callaghan: Blutiger Winter

Callahan_WinterIch war schon einigermaßen neugierig auf einen Krimi, der in Kirgisistan spielt. Doch der unmissverständliche Titel hätte mir eine Warnung sein sollen! Grausame Morde, verstümmelte Leichen, Folter… Eigentlich nichts für bekennende Krimi-Weicheier!

Inspektor Akyl Borubaev, noch traumatisiert durch den Krebstod seiner jungen Frau, wird zu einer furchtbar zugerichteten Frauenleiche gerufen. Man hat der Frau die Gebärmutter entnommen und einen toten Säugling in sie hineingelegt. Nachdem man die Frau als Tochter eines hochrangigen Politikers identifizert hat, wächst der Druck auf den Ermittler. Er soll den Täter finden und zum Vater der Ermordeten bringen.

Bald stellt Borubaev fest, dass der Fall eine politische Dimension hat und er niemandem trauen kann, auch nicht Kollegen und Vorgesetzten.

Mag sein, dass die Verhältnisse in der ehemaligen Sowjetrepublik authentisch geschildert sind. Die Auflösung der Mordfälle finde ich jedoch ziemlich weit hergeholt.

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Jessica Mitford: Hunnen und Rebellen

Mitford_HunnenLange bevor „Celebrities“ heutiger Zeit die sozialen Medien beherrschten, waren die schönen Mitford-Schwestern eine Sensation. Seit den späten 1920er Jahren waren sie mehr oder weniger ständig in der Presse.
Die sechs Frauen waren nach Aussage ihres Vaters „eine verrückter als die andere“. Und David Bertram Ogilvy Freeman-Mitford, der 2. Baron Redesdale, war selbst ein ungewöhnlicher Charakter, um es höflich zu umschreiben…

Die Älteste, Nancy, wurde eine berühmte Schriftstellerin („Englische Liebschaften“), Diana, geboren 1910, wurde die Frau des britischen Faschistenführers Sir Oswald Mosley. Schwester Nummer vier, Unity, war eine Freundin von Adolf Hitler und lieferte sich heftige Debatten mit Jessica, genannt Decca, die Sympathien für die Kommunistische Bewegung hegte.

In ihrer Autobiografie beschreibt Decca ihr Leben bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs. Sie, ihre fünf Schwestern und ihr Bruder Tom (der allerdings in einem Internat erzogen wurde) hatten selbst nach zeitgenössischen Maßstäben eine seltsame Kindheit.
Noch nicht volljährig, brennt Decca mit einem entfernten Cousin, Esmond Romilly (ein Neffe Churchills), nach Spanien durch. Sie wollen dort gegen die Faschisten kämpfen. Doch der Plan scheitert, ihre Familie spürt Decca auf. Sie schafft es jedoch, ihren Eltern eine Heiratserlaubnis abzutrotzen und geht mit Esmond in die USA…

Ich bin keine große Biografien-Leserin, aber dieses Buch habe ich verschlungen. Kaum ein Autor kann sich solche Figuren – und eine solche Familienkonstruktion – ausdenken. Spannend, interessant und sehr britisch.

Übrigens ist die Ausgabe sehr hübsch! Ich habe den Berenberg Verlag jetzt erst entdeckt und bin sehr angetan!

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Ian McEwan: Kindeswohl

McEwan_KindeswohlDas neue Buch von Ian McEwan gehört auf jeden Fall zu den Höhepunkten des literarischen Frühjahrs! Bis auf eine Ausnahme habe ich alle Bücher des Briten geliebt (besonders „Abbitte“).

Sein neuer Roman erzählt gleich zwei fesselnde Geschichten: Einmal geht es um ein lange verheiratetes Ehepaar, Fiona und Jack Maye, dessen Beziehung zu zerbrechen droht, als Jack sich in eine Affäre stürzen will.
Zum anderen geht um ein juristisches bzw. moralisches Problem: Ein junger Zeuge Jehovas ist an Leukämie erkrankt. Er und seine Eltern verweigern jedoch aus religiösen Gründen eine lebensrettende Bluttransfusion. Da der junge Mann noch nicht volljährig ist, kann die Familienrichterin Fiona Maye dem Antrag des Krankenhauses stattgeben, auch ohne Erlaubnis der Eltern – und gegen den Willen des jungen Adam – die Transfusion durchzuführen. Keine leichte Entscheidung – vor allem, weil Adam ein sehr beeindruckender junger Mensch ist…

Spannend, bewegend, auch unbequem – McEwan hat mich wieder einmal von der ersten Seite an gefesselt!

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Aus aktuellem Anlass – Richard Dawkins: Der Gotteswahn

DawkinsDieses Buch liegt seit gestern wieder auf meinem Nachttisch – seit völlig durchgeknallte Fundamentalisten zwölf Menschen getötet haben, die angeblich religiöse Gefühle verletzt und einen vor Jahrhunderten verstorbenen „Propheten“ beleidigt haben sollen.

Zwar beschäftigt sich Dawkins in seinem Buch eher mit dem Christentum, weil er in Europa aufwuchs, doch die Strukturen, die gewaltbereite Gottesstreiter hervorbringen, sind weltweit ähnlich. (siehe die USA, wo „Lebensschützer“ gern einmal Ärzte erschießen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen…)

Wo immer religiöser Wahn an die Stelle von Vernunft, Aufklärung und Humanität tritt, ist freies Reden und Denken nicht mehr möglich. Das zeigt die Geschichte der monotheistischen Weltreligionen.

Humorvoll, manchmal auch mit polemischer Schärfe, plädiert der Evolutionsbiologe (und natürliche Feind der Kreationisten) in seinem Bestseller für ein naturwissenschaftliches Weltbild, in dem es keinen Platz für religiös motivierten Hass gibt.

Ein kluges, amüsantes und nach wie vor aktuelles Buch!

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Tony Parsons: Dein finsteres Herz

Parsons_HerzDer erste Fall für Max Wolfe: Ein Serienmörder geht um.

Die Opfer scheinen zunächst willkürlich ausgewählt, doch schnell stellt sich heraus, dass sie eines gemeinsam haben: Sie besuchten alle ein Elite-Internat. Und ganz offensichtlich waren sie in ein Verbrechen verwickelt, für das sie jetzt büßen sollen…

Ein sympathischer Ermittler (alleinerziehender Vater, Hundebesitzer, Kaffee-Junkie) und ein Fall, der nicht vor Originalität übersprudelt… Trotzdem ein gar nicht mal so geringes Lesevergnügen. Der Lübbe-Verlag macht eine große Werbe-Kampagne für das Buch, wahrscheinlich landet es auf den Bestseller-Listen.  Ich kann mir jedenfalls durchaus vorstellen, auch den nächsten Max-Wolfe-Krimi zu lesen.

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Tana French: Der geheime Ort

French_OrtDas ist nicht nur der beste Krimi des Winters, sondern eines der besten Bücher, die ich in den letzten Monaten gelesen habe.

Wann immer ich um einen Krimi-Tipp gebeten werde, empfehle ich Tana French. Die Irin hat es mir einfach angetan. Nach dem etwas schwächeren vierten Band („Schattenstill) ist ihr fünfter Roman wieder ein echter Knüller!

Auf dem Gelände der noblen Mädchenschule St. Kilda wird ein Schüler erschlagen aufgefunden. Die Ermittlungen verlaufen im Sande, es gibt kaum Hinweise.

Ein Jahr später taucht an einer Pinnwand in der Schule ein Foto des ermordeten Jungen auf mit der Aufschrift „Ich weiß, wer ihn getötet hat“. Holly Mackey, Tochter des Polizisten Frank Mackey, (siehe „Sterbenskalt“) findet die Karte und wendet sich an Stephen Moran, einen jungen Kollegen ihres Vaters, der in der Abteilung für ungelöste Falle arbeitet. Zusammen mit einer Kollegin nimmt Moran den Fall wieder auf…

Dieses Buch ist der beste Beweis dafür, dass Leuten, die pauschal sagen: „Ich lese keine Krimis“ oftmals etwas entgeht. Tana French taucht tief in die Psyche der Schülerinnen und der Ermittler ein. Die Gruppendynamik in den Mädchencliquen und die Bedeutung von Freundschaft und Verlust fesseln viel mehr als die Frage nach der Täterin.

Ein beeindruckendes und bewegendes Buch!

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