Michele Serra: Die Liegenden

Serra_LiegendenKlagen über die jüngere Generation sind schon seit der Antike aufgezeichnet worden. Und auch der italienische Journalist und Kolumnist Michele Serra stimmt in den Chor derjenigen ein, die nicht fassen können, was aus den Kindern geworden ist.

Das Buch ist eine Beschwerde an den eigenen Sohn: Der liegt am helllichten Tag auf dem Sofa, Kopfhörer auf den Ohren, Laptop auf dem Bauch und Smartphone in der Hand. Er lebt in latenter Verwahrlosung, scheint zu keiner Ordnung fähig, verbringt seine Tage in virtuellen Welten.

Dabei möchte der Vater doch so gern mit dem Sprößling einen Berg besteigen, den Garten pflegen, Seite an Seite bei der Weinlese arbeiten. Aber gegen den digitalen Autismus des Jungen ist er machtlos.

Manchmal etwas herablassend, aber auch selbstironisch und witzig versucht Serra, sich diesem seltsamen Wesen, dass er in die Welt gesetzt hat, zu nähern. Nettes Lesefutter für alle, die mit jungen Menschen zu tun haben.

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Alan Bradley: Flavia de Luce – Tote Vögel singen nicht

Bradley_VoegelDer letzte „Flavia“- Band endete mit einem Knaller: Colonel de Luce erhielt einen Anruf, dass Flavias in Tibet verschollene Mutter gefunden worden sei. Nun kehrt Harriet also nach Buckshaw zurück – in einem Sarg…

Ganz Bishop´s Lacey findet sich am Bahnhof ein, um der Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Und auch hoher Besuch aus London ist dabei: Winston Churchill persönlich kondoliert. Und stellt Flavia eine sehr seltsame Frage. Doch bevor sie richtig darüber nachdenken kann, geschieht ein Mord am Bahnsteig.

Wer ist der geheimnisvolle Tote, der Flavia zuvor eine kryptische Botschaft überbracht hat? Und wer ist der „Wildhüter“, um den es in dieser Botschaft ging? Flavia muss feststellen, dass sie nur sehr wenig über ihre Familie weiß…

Ich bin nach wie vor ein Fan dieser Reihe – Alan Bradley zu lesen ist ein großes Vergnügen an trüben Herbsttagen!

 

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C. Clare, H. Black: Magisterium – Der Weg ins Labyrinth

Clare_MagisteriumBraucht die Welt wirklich noch den 687. Harry-Potter-Abklatsch?

Cassandra Clare und Holly Black sind beliebte Fantasy-Autorinnen. Zusammen haben sie diese Buchreihe begonnen, in deren Mittelpunkt der ziemlich unsympathische Junge Call steht, der wider seinen Willen zum Magier ausgebildet werden soll.

Sein Vater hat ihn immer von der Magie und den Magiern fernhalten wollen, allerdings muss er sich einem Test des „Magisteriums“ unterziehen, bei dem seine Fähigkeiten zu Tage kommen.

Für die Jugendliche Zielgruppe mag es gut verdauliches Lesefutter sein, aber ich habe das Buch mit einer Mischung aus Langeweile und Widerwillen gelesen – und es nach gut der Hälfte der 300 Seiten weggelegt.

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Sybille Bedford: Ein Liebling der Götter

Bedford_LieblingKaum zu glauben, dass dieses absolut lesenswerte Buch so lange ungelesen in meinem Regal stand!

Ein wunderbar ironischer, eleganter Familienroman, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt. Im Mittelpunkt steht die exzentrische Constanza, Tochter einer reichen Amerikanerin und eines italienischen Fürsten. Das junge Mädchen wächst behütet und doch frei in einem römischen Palazzo auf. Als ihre Mutter Anna eines Tages jedoch von den Liebschaften ihres Mannes erfährt, verlässt sie Rom und geht nach London – für Constanza endet so ihre idyllische Kindheit.

Rastlose Jahre beginnen für Mutter und Tochter. Als junge Frau stürzt sich Constanza in wechselnde Affären, und auch ihre Ehe ist nur von kurzer Dauer. Erst ihr eigenes Kind, Flavia, bringt ein wenig Ruhe in ihr Leben…

Grandios! Sybille Bedford (1911-2006) ist wirklich eine Entdeckung!

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Alice Hoffman: Hier auf Erden

Man kann einen zweiwöchigen Urlaub zuhause gut dazu nutzen, sich einmal vor die Regale zu stellen und nach Büchern Ausschau zu halten, die man noch nicht gelesen hat. Oder nach jenen, an deren Inhalt man sich nicht mehr erinnert, obwohl man sie gewiss gelesen hat.

Ich also griff zu Alice Hoffman, die ich vor fünfzehn, zwanzig Jahren verschlungen habe. „Zaubermond“ gehörte Anfang der 1990er Jahre zu meinen Lieblingsbüchern.
An „Hier auf Erden“ konnte ich mich absolut nicht mehr erinnern. Erst beim Lesen kam es mir wieder latent bekannt vor, und zwar in doppelter Hinsicht.

Die Hauptfigur, March Murray, begegnet ihrer Jugendliebe Hollis nach Jahrzehnten der Trennung. Hollis wurde von Marchs Vater von einer Geschäftsreise mit nach Hause gebracht, da er keine Familie hatte und als Problemkind galt.

Während sich March schnell mit dem mürrischen Außenseiter anfreundet (und später ein Liebespaar aus ihnen wird), kann ihr Bruder Alan Hollis nicht ausstehen und schikaniert ihn, wo er nur kann.

Kennen Sie diesen Plot? Natürlich: Emily Brontes „Sturmhöhe“. Obwohl der Roman in den 1990er Jahren spielt, folgt er in der Handlung zu weiten Teilen dem klassischen Vorbild. Doch es endet für March anders als für Cathy nicht mit dem Tod…

Nette Schmonzette!

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Jo Baker: Im Hause Longbourn

Baker_LongbournEs ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass die Bennets von Longbourn zu den weltweit bekanntesten literarischen Familien gehören…

Was für eine wundervolle Lektüre für die dunkler werdenden Herbsttage! Ich weiß nicht, warum – aber der Herbst ist für mich die Jane-Austen-Jahreszeit! Und diesmal kann ich sogar der Familie Bennett einen Besuch abstatten, ohne zum Original („Stolz und Vorurteil“) greifen zu müssen.

Jo Baker stellt eine Figur in den Mittelpunkt ihres Romans, die bei Jane Austen nur am Rande erwähnt wird: Das Hausmädchen Sarah. Ihr Leben ist zwangsweise eng verwoben mit dem der Bennett-Töchter Jane, Lizzie, Mary, Lydia und Kitty – und doch hat Sarah ihre eigenen Geheimnisse und Träume. Als mit dem jungen James ein Hausdiener in Longbourn angestellt wird, entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte. Doch der ruchlose Lieutenant Wickham stiftet auch hier Unheil…

Meine Rezept gegen herbstliche Verstimmung: Tee kochen, Kuscheldecke hervorholen und Jo Baker lesen!

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Michael J. Sullivan: Der Turm von Avempartha

Sullivan_TurmDer zweite Teil der Ryria-Saga liest sich genauso flott wie sein Vorgänger. Eine nette, spannende Erzählung, ohne große Gemetzel und nicht so düster wie „Das Lied von Eis und Feuer“ zum Beispiel. Allerdings ist es sprachlich gesehen… tja, sagen wir mal: ausbaufähig.

Diesmal haben es die Diebe Royce und Hadrian mit einem Ungeheuer zu tun, dass beinahe ein ganzes Dorf auslöscht. Doch sie sind nicht die einzigen, die sich für diese Kreatur interessieren. Plötzlich tauchen adelige Ritter und Männer der Kirche in dem abgelegenen Dorf auf, die ganz andere Pläne verfolgen. Wer das Ungeheuer tötet, soll nach dem Willen der Kirche der neue Imperator werden. Doch der Patriarch und seine Inquisitoren spielen falsch – und Royce und Hadrian stecken wieder einmal mitten in einer politischen Intrige.

Zwischendurch-Lesefutter für alle, die immer noch auf das nächste Buch von Patrick Rothfuss warten.

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Neil Gaiman: Der Ozean am Ende der Straße

Gaiman_OzanEin Märchen für Erwachsene? Horror? Fantasy? Das neue Buch von Neil Gaiman kann man nicht so ohne weiteres einordnen, finde ich.

Auf jeden Fall ist es eine bezaubernde Freundschaftsgeschichte, die in einer magischen Welt spielt.

Der namenlose Ich-Erzähler kehrt zu einer Beerdigung in das Dorf seiner Kindheit zurück. Und so taucht er wieder in die Geschehnisse ein, die er als Siebenjähriger erlebt hat. Er freundete sich damals mit der ein paar Jahre älteren Lettie Hempstock an, die steif und fest behauptete, der Ententeich unterhalb der Hempstock-Farm sei ein Ozean.

Auch Letties Mutter und Gr0ßmutter wissen um Dinge, die die normalen Erwachsenen nicht sehen. Als in der Nachbarschaft eine Leiche gefunden wird, beginnt für die Kinder ein schauriges Abenteuer: Etwas Böses versucht, in ihre Welt zu gelangen…

Unheimlich und doch poetisch: Dieses Buch ist wie geschaffen für dunkle, neblige Herbstabende. Für alle Erwachsenen, die sich noch daran erinnern, wie unheimlich einem Kind die Welt erscheinen kann – und sich ein kleines bisschen gruseln möchten.

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Malcom Mackay: Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter

Mackay_LewisIn der Glasgows Unterwelt herrschen raue Sitten. Das weiß Lewis Winter, aber er hat eine schöne junge Freundin, die er bei Laune halten will. Also mischt er in Geschäften mit, von denen er sich fern halten sollte.

Calum MacLean ist ein Einzelgänger, und das ist gut so. Er erledigt nur ein paar Aufträge im Jahr – solange das Geld für eine ordentliche kleine Wohnung und ein angenehmes, wenn auch etwas spartanisches Leben reicht, ist er zufrieden. Er ist nicht gierig, und er ist nicht wild darauf, Leute umzulegen. Doch trotz seiner Umsicht gerät er auf die Abschussliste der Mafia. Vielleicht war es doch ein Fehler, Lewis Winter zu töten?

Ein cooler, stilsicher erzählter schottischer Thriller. Nicht zu blutig, nicht reißerisch – für Freunde von Chandler & Co.

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Zoran Drvenkar: Still

Drvenkar_Still„In seinem neuen Roman STILL verstrickt Zoran Drvenkar seine Leser in eine alptraumhafte Geschichte von Jägern und Gejagten, Schmerz und Trauer, Rache und Vergeltung.“ So der Klappentext. Und dieser Thriller hat wirklich etwas von einem Alptraum.

Kaum zu glauben, dass Drvenkar auch tolle, witzige Kinderbücher wie „Die Kurzhosengang“ schreibt. Ich habe schon lange keinen so trostlosen Krimi mehr gelesen.

Die Geschichte ist nicht besonders originell: Ein Vater will die Männer zur Stecke bringen, die er für den Tod seiner Tochter verantwortlich macht. Dabei hilft ihm Lucia, eine junge Frau, die ebenfalls als Kind entführt wurde, aber den Tätern entkommen ist. Seitdem schweigt sie – sie behauptet von sich, tot zu sein.

Es ist Drvenkars Erzählweise, die das Buch zu etwas Besonderem macht. Die Kapitel sind mit „SIE“, „ICH“ und „DU“ überschrieben. „SIE“ erzählt über die Täter, eine fast mystische, verschworene Jagdgemeinschaft von vier Männern. „ICH“-Kapitel beinhalten die Gedanken des Erzählers, eben des Mannes, der die Jäger beobachtet, sich ihnen nähert und sie zur Strecke bringen will. Auch die „DU“-Abschnitte sind aus Sicht des Erzählers geschrieben, hier wendet er sich Lucia, die mittlerweile in einer psychiatrischen Anstalt lebt.

Auch eine Woche nachdem ich das Buch gelesen habe, bin ich mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Es ist spannend und stilsicher erzählt, aber die Geschichte ist mir einfach zu grausam.

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